Den Durchblick im Medikamenten-Chaos behalten

Bremen – Nimmt ein Patient dauerhaft mehrere Medikamente gleichzeitig, kann er nicht nur den Überblick verlieren. Bei der sogenannten Polypharmazie lauern auch einige Gefahren.

«Wer Kopfschmerzen und verschiedene Behandler hat wie etwa den Neurologen, den Hausarzt, den Orthopäden, und vielleicht noch Rat von Freunden oder Nachbarn bekommt, bei dem kann schon eine Kombination von vielen Wirkstoffen auftreten», sagt Hannah Haumann vom Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung am Universitätsklinikum Tübingen.

Das kann auch jüngere Patienten betreffen. Doch vor allem ältere Menschen, bei denen zum Beispiel Diabetes, Bluthochdruck oder Herzkrankheiten häufiger vorkommen, müssen über den Tag oft etliche Tabletten schlucken.

Da beginnen die Probleme schon bei der Einnahme – wenn man den Überblick behalten und alles zur richtigen Zeit in der richtigen Dosis einnehmen muss. Mit zunehmendem Alter kann das immer schwieriger werden. «Einige meiner Patienten sehen nicht mehr so gut», sagt Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbandes. «Da ist es nicht leicht, die ganzen Beipackzettel auseinanderzuhalten.» Tablettenboxen können da hilfreich sein.

Gesetzlich Versicherte, die mindestens drei verordnete Arzneimittel dauerhaft einnehmen, haben außerdem Anspruch auf einen Medikationsplan. Darauf weist Annekathrin Schrödl hin, Apothekerin bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD). Das standardisierte Formular dient dem Patienten als verständlicher Einnahmeplan.

Gerade bei Polypharmazie besteht das Risiko, dass ein Medikament neben der gewünschten eine unerwünschte Wirkung hat – zum Beispiel, weil es auf ein anderes Medikament reagiert. Wechselwirkungen nennen Experten das. «Besonders aufpassen muss man zum Beispiel bei Medikamenten, die die Blutgerinnung des Körpers beeinflussen», erklärt Hausarzt Mühlenfeld.

Auch das Risiko von Nebenwirkungen steigt, je kränker ein Patient ist und je mehr Medikamente er einnimmt: Die Nierenfunktion etwa spielt für Nebenwirkungen eine besondere Rolle und lässt im Alter ohnehin nach, Medikamente werden anders im Körper abgebaut. Eine Gefahr sind auch Schwindel und ein höheres Sturzrisiko.

«Spätestens ab dem dritten, vierten Medikament weiß kein Professor für Pharmakologie mehr, was in einem Menschen passiert», sagt Mühlenfeld. Er sieht eine wichtige Aufgabe der Hausärzte darin, von Polypharmazie betroffene Menschen zu «demedikamentisieren».

Gewichtet wird gemeinsam mit dem Patienten: «Es gibt Medikamente, mit denen ich Symptome wie Schlafstörungen, Luftnot oder Wasser in der Lunge behandle», erklärt Mühlenfeld. «Andere nehme ich zur Prophylaxe, etwa gegen Verkalkung.» Je nach Lebensalter und Stärke der Beschwerden können manche Medikamente unter Umständen weggelassen werden.

Dabei wird die Einnahme aber nicht um jeden Preis reduziert. «Wenn die Therapie gut begründet, auf Belege gestützt und für den Patienten notwendig ist, gibt es Situationen, in denen Polypharmazie nicht vermeidbar ist», betont Haumann. Schon gar nicht sollten Patienten eigenmächtig bestimmte Medikamente absetzen.

Fotocredits: Caroline Seidel,Mascha Brichta,Hans-Michael Mühlenfeld
(dpa/tmn)

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