Ambulante Kinderhospize unterstützen Eltern

Recklinghausen – Luca ist zwölf. Wenn er am Nachmittag gegen 16 Uhr von der Förderschule nach Hause kommt, ist er wie andere Schüler auch – müde. Für seine Mutter Viola beginnt dann wieder ein anstrengendes Hamsterrad.

Luca leidet unter dem West-Syndrom: Sein Körper, der dem eines sieben oder achtjährigen Kindes entspricht, wird regelmäßig von Epilepsie-Anfällen durchgeschüttelt. «Dabei verlernt Luca immer wieder Dinge, die er bereits einmal konnte», erklärt Vater Stephan Schmidt (48). Luca ist körperlich und geistig behindert. Die Eltern müssen jederzeit damit rechnen, dass ihr Kind stirbt. Mutter Viola Huep-Schmidt (49) schaut jede Nacht fünf bis sechs Mal nach Luca.

Ein enormer Kraftaufwand für die Familie. Nur wenige Stunden Entlastung in der Woche sind da eine große Hilfe. Die leistet Gabi Grütering. Die 55-Jährige ist ehrenamtliche Mitarbeiterin des
ambulanten Kinderhospizdienstes im Kreis Recklinghausen. Wenn Lucas per Fahrdienst am Nachmittag in Dorsten vor dem Einfamilienhaus ankommt, steht Grütering einmal pro Woche bereit. Sie hebt Luca in den Rollstuhl und schiebt ihn ins Wohnzimmer. Auf einer Decke kuscheln die beiden. Die Mutter schaut zu, wie die ehrenamtliche Helferin ihren Sohn füttert. Durch die Hilfe des ambulanten Kinderhospizdienstes hat die Mutter ein wenig mehr Zeit für sich.

Zwischen 16 und 19 Uhr muss sie dann keine Medikamente geben, muss nicht wickeln oder füttern. «Ich schenke euch meine Zeit», sagt Grütering über ihr Engagement. Seit rund zehn Jahren macht die Erzieherin das. «Damals habe ich eine Anzeige gesehen, dass Ehrenamtliche gesucht werden. Ich war in einer Umbruchphase, meine heute 27 und 29 Jahre alten Söhne hatte ich erzogen.» Allerdings: Mein Mann war dagegen. «Um Gottes Willen, mit dem Thema Tod wollte er nichts zu tun haben. ‚Wie kannst du das machen‘ war seine Reaktion, ‚Tod haben wir doch zur Genüge in der Familie‘, auch meine Söhne haben damals eher zurückhaltend reagiert.»

Die Kritik an dieser Entscheidung hat sich aber gewandelt. Nach dem Tod eines Kindes in der ersten Familie, die sie begleitet hat, kam sie zu Luca. Zu dieser Familie ist eine Freundschaft entstanden. Auch ihr Mann unterstütze sie jetzt in ihrem Ehrenamt. Die Scheu vor dem Thema Tod habe er abgelegt.

Dabei sind die ambulanten und stationären Kinderhospize nur auf den ersten Blick Sterbegleiter. «Da müssen wir viel Aufklärungsarbeit leisten», sagt Sandra Westhoff (43). Die gelernte Kinderkrankenschwester ist die Koordinatorin des Dienstes, zieht im Hintergrund die Fäden, kümmert sich um Schulungen, um Spendengelder und schaut, welche der 25 Familien mit 28 Kindern passt zu welchem der 40 Ehrenamtlichen? In ersten Gesprächen klärt Westhoff, welchen Bedarf die Eltern haben.

Bei Luca und Gabi Grütering stimmte das Verhältnis von Anfang an. «Er hat ein gutes Gespür für Menschen», erzählt Grütering über Luca. Eine Nachbarin habe er einmal gebissen, als diese zu aufdringlich wurde. «Auf mich hat er sofort positiv reagiert.» Zuvor hatte sie ein Jahr Auszeit vom Ehrenamt nötig. Das Kind in ihrer ersten Familie war gestorben. «Da brauchte ich Abstand», sagte Grütering heute. Sie kümmerte sich vorübergehend mehr um die Büroarbeit im Verein.

Neben der zeitlichen Entlastung für die Eltern von Luca sind die Themen Tod und Trauer immer wieder Gesprächspunkte. Sie haben bereits ein Kind durch den plötzlichen Kindstod verloren. Deshalb sei es für sie so befreiend, wenn sie mit Gabi Grütering immer wieder auch über den Tod reden können. Das gehe nicht mit jedem. «Die Leute wissen ja nicht, wie sie damit umgehen sollen. Tod, Trauer, Behinderung eines Kindes – alles Hemmschwellen», sagt Stephan Schmidt.

Westhoff hatte im
Krankenhaus bereits mit sterbenden Kindern zu tun. «Dort kam aber das Zwischenmenschliche zu kurz. Ich habe mich deshalb bewusst gegen das Schichtsystem auf der Station entschieden», sagt die Koordinatorin. Die Mutter von zwei Kindern (7 und 10) empfindet ihre heutige Arbeit als befriedigender. Abendtermine oder Veranstaltungen am Wochenende nimmt sie dafür in Kauf. «Und die Arbeit erdet enorm. Wenn meine Kinder mich nerven, sehe ich das heute gelassener», sagt Westhoff. Den Kontakt zum Krankenhaus hat sie nicht ganz gekappt. Drei Dienste im Monat übernimmt sie noch regelmäßig.

Neben der Seelsorge, Sterbe- und Trauerbegleitung spielt die Entlastung der betroffenen Eltern durch die Kinderhospizarbeit eine wesentliche Rolle. Lucas Mutter: «Keiner kann so richtig nachvollziehen, was diese drei Stunden Entlastung in der Woche für uns bedeuten.»

Fotocredits: Bernd Thissen
(dpa)

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