Duisburg – Als er aus dem künstlichen Koma erwachte, war Boris Wrobel ein anderer Mensch. Einen Lungenflügel, Rippenfell, Teile des Zwerchfells und Herzbeutels hatten die Chirurgen entfernt. Nach der Operation und mehreren Tagen im Koma begann ein neues Leben für den 39-Jährigen.
Drei Jahre ist die Untersuchung beim Lungenarzt her, der bei dem Duisburger Verwachsungen im Rippenfell feststellte, die dort nicht hingehörten. Eine Computertomographie beim Radiologen brachte die Diagnose, eine Biopsie dann die Bestätigung: Mesotheliom.
Der bösartige Tumor kann am Rippenfell, Bauchfell oder Herzbeutel auftreten. Viele Betroffene sterben binnen eines Jahres, sagt Prof. Xaver Baur, Präsident der Europäischen Gesellschaft für Umwelt- und Arbeitsmedizin. Die Ursache für Mesotheliome ist in den meisten Fällen klar: Asbest.
Heute ist
Asbest ein Schreckenswort. Lange aber galt der Stoff als Wundermittel: nicht brennbar, elastisch, kaum kaputt zu kriegen und dazu billig – Eigenschaften, die Asbest zu einem beliebten Baustoff machten.
Die verheerenden gesundheitlichen Gefahren waren dabei schon Jahrzehnte bekannt. Eingeatmete Asbestfasern setzen sich in der Lunge fest. Der Körper kann sie nicht abbauen. Die Fasern reizen das Gewebe und führen zu Vernarbungen:
Asbestose lautet der Fachbegriff. 1993 erst wurde Asbest in Deutschland
verboten.
Irgendwann in den Neunzigern müssen die Asbestfasern in die Lunge von Boris Wrobel gelangt sein, der keiner der
beruflichen Risikogruppen angehört. Wahrscheinlich ist, dass ihm die Arbeit bei einer Tischlerei in seiner Jugend zum Verhängnis wurde: Ohne Schutzanzug oder auch nur Atemmaske schlug Wrobel Fenster aus Wänden heraus. In den Fensterdichtungen war Asbest verarbeitet worden. Damit sich ein Mesotheliom bildet, reichen unter Umständen bereits geringe Mengen.
«Es kann lange dauern, ehe jemand krank wird», sagt Arbeitsmediziner Baur. Bis die Fasern in der Lunge die Gewebeschäden auslösen, können durchaus 40 Jahre vergehen.
Wer sicher weiß oder den Verdacht hat,
Asbest eingeatmet zu haben, sollte sich regelmäßig untersuchen lassen, rät der Bundesverband der Asbestose Selbsthilfegruppen. Lungenfachärzte können Asbestose sowie mögliche Folgeerkrankungen erkennen. Als Mittel stehen den Medizinern Röntgen, Computertomographie, Blutuntersuchungen und Lungentests zur Verfügung. Die Vorsorge wird von der Zentralen Erfassungsstelle für asbeststaubexponierte Arbeitnehmer (GVS) organisiert.
Laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) wurden 2015 knapp
10 000 neue Verdachtsfälle für Asbesterkrankungen gezählt. Die Zahlen sind seit Jahren auf diesem Niveau, zeigt die Statistik. Ein Rückgang ist nicht abzusehen. Mehr als 1500 Menschen sind 2015 nach Zahlen der DGUV an Asbesterkrankungen gestorben.
Asbesterkrankungen müssen der zuständigen Berufsgenossenschaft gemeldet werden. Diese muss die Ursache ermitteln und entscheidet über die Anerkennung – verbunden mit der Möglichkeit auf eine Rente und Kostenunterstützung bei Therapien und Medikamenten.
Boris Wrobel bekam Besuch von zwei Genossenschaftsmitarbeiterinnen. Es war während der ersten Chemotherapie. Sie stellten Fragen, Wrobel antwortete. Die Bedeutung von alldem war ihm nicht bewusst. «In der Zeit hatte ich viele andere Dinge im Kopf.» Monate später war Post im Briefkasten: Die Berufsgenossenschaft konnte keine Berufskrankheit feststellen.
Boris Wrobel musste nach sechs Wochen Krankheit fast ein Jahr lang mit dem Krankengeld der Kasse auskommen – und für Medikamente sowie Krankenhausaufenthalte dazuzahlen. Im Sommer hat er das Anerkennungsverfahren erneut ins Rollen gebracht. Vor allem ging es um eine Antwort auf die noch ungeklärte Frage: Wo gab es den fatalen Asbest-Kontakt?
Ende Juni 2017 dann die ersehnte Nachricht: Wrobels Leiden wird als Berufskrankheit anerkannt. Das heißt unter anderem, dass Wrobel nun einen Rentenanspruch hat. Dass er Kosten rückwirkend geltend machen kann, für den Heilpraktiker, für Zuzahlungen zu Medikamenten und Krankenhaustagegeld. «Es ist eine große Erleichterung.»
Fotocredits: Judith Michaelis,Judith Michaelis,Judith Michaelis
(dpa/tmn)