Worms – Die kleine Emma liegt auf einer blauen Gel-Matratze in ihrem Wärmebett auf der Isolierstation des Klinikums Worms. Das winzige Baby kam schon in der 27. Schwangerschaftswoche zur Welt – nur 900 Gramm schwer.
So oft es geht, legen Emmas Eltern – Lisa und Alexander Engmann – ihre kleine Tochter auf ihre Oberkörper. Der Haut-zu-Haut-Kontakt nennt sich «Känguruing» und ist für das Eltern-Kind-Verhältnis sowie für das Wohlbefinden, die Entwicklung, die Infektionsprophylaxe des Neugeborenen gut, wie der Leitende Oberarzt Neonatologie, Samuel Lippke, sagt.
Mehrere Krankenhäuser testen High-Tech-Matratze
Weil dieser enge Kontakt außerhalb von Brutkasten (Inkubator) und Wärmebett aber meist nur einige Stunden am Tag möglich ist, soll die blaue High-Tech-Matratze den Eltern-Kind-Kontakt simulieren – vor allem nachts. Ob das mehr als eine schöne Idee ist, und die Frühchen in ihrer Entwicklung wirklich unterstützt, wird in einer Studie in mehreren deutschen Krankenhäusern untersucht.
«Nicht alles, was man intuitiv gut findet, ist es dann auch wirklich», sagt die Präsidentin der Gesellschaft für Neonatologie und Pädagogische Intensivmedizin, Ursula Felderhoff. So seien in den 1990er Jahren Frühchen im Inkubator aus Kassettenrekordern mit Mozart oder der Stimme ihrer Mutter beschallt worden, bis bei Messungen festgestellt wurde, was das für ein Lärm gewesen sei.
Die wissenschaftliche Begleitung des von einem Stuttgarter Startup entwickelten Babybe-Systems mit der Gel-Matratze in mehreren Kliniken sei aus ihrer Sicht notwendig. Grundsätzlich gelte: «Alles, was die Mutter-Kind-Bindung steigert, ist etwas Gutes.»
Herzschlag und Atmung der Mutter werden übertragen
Ein schildkrötenförmiges Gerät aus Silikon und Gel nimmt den Herzschlag und die Atmung der Mutter oder des Vaters auf und bringt in der Gel-Matratze per Funk eine Pumpe in Bewegung, wie Maximilian Blendinger von dem Unternehmen erläutert. Mit einem Zusatzgerät könnten auch die Stimmen der Eltern übertragen werden. Das fast 12.000 Euro teure System soll die Atemfrequenz der Frühchen senken und ihre Gewichtszunahme beschleunigen.
Eine Pilotstudie aus Chile – mit allerdings nur 15 Frühchen – habe «einen vorläufigen Beweis» erbracht, dass es funktioniert, heißt es bei der Techniker Krankenkasse (TK) in Rheinland-Pfalz. Die Krankenkasse unterstützt die Studie mit insgesamt 220 Frühchen an acht bis zehn deutschen Geburtskliniken. In Rheinland-Pfalz macht außer dem Klinikum Worms mit derzeit zwei Frühchen noch das Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus in Speyer mit.
Mit den ersten Ergebnissen rechnet der Leiter der Studie – der Direktor der Klinik für Neonatologie der Universitätsmedizin Mannheim, Thomas Schaible – in etwa einem Jahr. «Wir sind noch in den Kinderschuhen», sagt der Professor. Die Känguru-Methode habe die westliche Medizin aus Kolumbien übernommen und in den vergangenen 10, 20 Jahren allmählich etabliert. «Die Kinder sind ruhiger und stabiler, als wenn nur der Arzt und die Schwester mit ihnen im Brutkasten in Kontakt kommen.»
Weniger Atempausen für Säugling
Die Matratze sei eine empathische Idee für die Zeit, in der die Eltern weg sind. Allerdings sei es schwer, nachzuweisen, ob sie wirklich etwas bringe. Ziel der Studie sei es, herauszufinden, ob die Matratze gut vertragen werde und dazu führe, dass die Kinder schneller Gewicht zulegen. Ein sekundärer Gewinn könnten weniger Atempausen sein, sagt Schaible. Möglicherweise müsse die Klappe vom Brutkasten dann seltener geöffnet werden, um bei kurzen Pausen einen Reiz per Hautkontakt zu setzen, dass die Kinder wieder atmen.
Die Idee komme bei Eltern sehr gut an, weil sie so in ihrer hilflosen und oft verzweifelten Situation eine aktive Rolle einnehmen könnten, berichtet Blendiger. Emmas Eltern sind überzeugt, dass ihre Tochter in der ersten Nacht ohne die Matratze schlechter geschlafen hat und unruhiger war. Denn während der Studie ist Emmas Matratze zunächst vier Wochen nachts an, dann zwei Wochen aus und dann wieder zwei Wochen an. Bei dem zweiten Frühchen in Worms, einem fast gleichaltrigen Jungen, ist es genau umgekehrt. Täglich gibt es ein Protokoll über Herzfrequenz, Atmung und Gewichtszunahme, das an die Gruppe um Professor Schaible zur Auswertung weiter geleitet wird.
Vorteile der Matratze
«Ich finde den Gedanken sehr tröstlich, dass Emma denkt, ich bin noch da», beschreibt Lehrerin Lisa Engmann (32) die Vorteile der Matratze. «Wenn es auch anderen Frühchen in der Zukunft hilft, umso besser», sagt ihr Mann Alexander. «Man weiß jetzt, wie wichtig das ist.»
Fachleute sähen bei solchen neuen Geräte immer auch die Gefahr, dass die Eltern nicht mehr so oft ihren Säugling besuchten, sagt Felderhoff. Beim vor mehr als zehn Jahren eingeführten Videostreaming – vom Inkubator ins Wohnzimmer – habe sich diese Befürchtung allerdings nicht bestätigt. Es gebe inzwischen wissenschaftliche Belege dafür, dass damit der Milchfluss bei den Müttern in Gang gesetzt werde und es gut für die Eltern-Kind-Bindung sei.
Emma, die abgepumpte Muttermilch über eine Magensonde bekommt, ist auf jeden Fall auf einem guten Weg, wie ihr Arzt Lippke sagt. Sie hat ihr Geburtsgewicht nach sechseinhalb Wochen verdoppelt. Den Inkubator und das Sauerstoffgerät braucht sie nicht mehr, nur die Temperaturregulierung funktioniere noch nicht ganz. Voraussichtlich zu ihrem errechneten Geburtstermin wird sie die Klinik mit ihren Eltern verlassen können.
Fotocredits: Andreas Arnold
(dpa)