Thiocanat ist ein Molekül, das in den Zellen von Pflanzen, Menschen und Säugetieren vorkommt. Lange Zeit wurde dieser Substanz keine Aufmerksamkeit geschenkt – zu Unrecht, wie sich nun herausstellt. Das Molekül aus Schwefel, Kohlenstoff und Stickstoff hat Eigenschaften, die besonders Menschen mit Neurodermitis und Juckreiz zugutekommen. Aber auch das Haarwachstum scheint die unscheinbare Substanz zu fördern.
Ein wahres Multitalent
Thiocyanat ist ein echter Tausendsassa: Das Molekül kann, anders als viele synthetische Wirkstoffe und Arzneimittel, sowohl aktivierend als auch beruhigend oder dämpfend wirken. Thiocyanat wirkt ausgleichend und das macht es so besonders. Es führt zu einer unspezifischen Stimulation der Immunantwort.
Thiocyanat oder Rhodanid, wie das Molekül in ältere Veröffentlichungen genannt wird, wurde lange Zeit nur als Abbauprodukt der Cyanid-Entgiftung bei Menschen und Säugetieren angesehen. Die Studien von Prof. Dr. med. Axel Kramer, der als geschäftsführender Direktor des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin an der Universität Greifswald forscht, zeigen die vielfältigen Einsatzgebiete von Thiocyanat:
- Es wirkt entzündungshemmend,
- fördert die Wundheilung,
- stärkt die Hautzellen,
- schützt vor Infektionen und
- unterstützt sogar die Haarbildung.
Von der Kuh-Zunge zur Neurodermitis-Behandlung
Forscher benötigen manchmal auch etwas Glück: Die Idee Thiocyanat zur Linderung von Neurodermitis-Beschwerden einzusetzen, hat sich ein junger Student der Naturwissenschaften von einem Bauern abgeschaut. Dieser ging, wenn die Neurodermitis-Symptome am Kopf ihn besonders plagten, zu einer seiner Kühe und ließ sich von ihr mit der Zunge über den Kopf lecken. Das führte zur Linderung seiner Beschwerden. Der erstaunte Forscher konnte im Speichel der Kuh Thiocyanat in einer hohen Konzentration nachweisen. Das Interesse an diesem Naturstoff war geweckt. Heute, nach vielen Jahren intensiver Forschung, gibt es spezielle Pflegepräparate zur Beruhigung und Pflege von gereizter, juckender Haut, unter der besonders Menschen mit Neurodermitis leiden.
Thiocyanat gegen Haarausfall
Ein anderes Forschungsprojekt, bei dem untersucht werden sollte, ob Thiocyanat die Nebenwirkungen einer Chemotherapie lindern kann, führte zu einem weiteren Einsatzgebiet der körpereigenen Substanz: Haarausfall.
In den Experimenten zeigte sich, dass Thiocyanat den Haarausfall während einer Chemotherapie bremsen konnte. Die Ergebnisse ermunterten die Forscher nun an einer Rezeptur zu arbeiten, die das Haarwachstum fördert. Ein Thiocyanat-Präparat für das Haarwachstum soll im Herbst auf den Markt kommen.
Einen Wermutstropfen gibt es allerdings: Ist die Haarwurzel erst einmal abgestorben, kann auch Thiocyanat nichts mehr ausrichten.
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